1. Warum ziehen Hunde an der Leine?
Es gibt verschiedene Gründe, warum Hunde an der Leine ziehen, doch die meisten lassen sich auf einige typische Verhaltensmuster zurückführen. Etwa 10% der Hunde, vor allem solche mit starkem Jagdtrieb, zeigen dieses Verhalten, weil sie ihrer Nase folgen. Diese Hunde arbeiten, ihrem Fährtentrieb folgend, oft mit „tiefer Nase“ und sind kaum noch zu bremsen, sobald ihre Nase in Bodennähe kommt.
Weitere knappe 10% der Hunde ziehen schlichtweg gerne. Das liegt daran, dass das Ziehen nach der Jagd eine der ersten Aufgaben war, für die Hunde gezielt selektiert wurden. Nicht nur bei Rassen, die früher für das Ziehen von Schlitten oder Karren eingesetzt wurden, ist dieses Verhalten tief verankert.
Ebenfalls etwa 10% der Hunde ziehen deshalb, weil ihrem Bedürfnis nach Bewegung nicht ausreichen Rechnung getragen wird.
Bei gut 70% der Hunde liegt der Grund für das Ziehen ganz woanders: Diese Hunde haben Zweifel an der Führungskompetenz ihrer Halter und übernehmen aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus selbst die Führung. Der Hund nimmt seine Bezugsperson möglicherweise als unsicher oder inkonsequent wahr, obwohl diese durchaus über Führungskompetenz verfügt. Das Problem liegt oft darin, dass der Mensch diese Kompetenz dem Hund gegenüber nicht effektiv kommunizieren kann. Infolgedessen übernimmt der Hund die Führungsrolle, was für ihn jedoch mit großem Stress verbunden ist. Jeder Spaziergang wird unter diesen Umständen zu einer nervenaufreibenden Aufgabe für den Hund, da er ständig das Gefühl hat, auf der Hut sein zu müssen.
Für diese 70% plus der Hunde stellt das Ziehen an der Leine also eine große Belastung dar, da es sie in einen dauerhaften Stresszustand versetzt. Der Stress, der dadurch entsteht, hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten, sondern kann auch langfristig zu gesundheitlichen Problemen führen.
2. An welchem Ende der Leine lauert die Herausforderung?
Wie bereits in Punkt 1 deutlich wurde, liegt die Ursache für das Ziehen an der Leine bei gut 70% der Hunde eher auf der Seite des Menschen als auf der des Hundes. Trotz dieser Erkenntnis setzen viele Hundehaltende – und leider auch viele Hundetrainer und Hundeschulen "alter Schule" – den Fokus weiterhin auf das "Training" des Hundes. Dabei wird oft übersehen, dass das eigentliche Problem nicht im Verhalten des Hundes, sondern in der Art und Weise liegt, wie die Führung vom Menschen übernommen und kommuniziert wird. Versucht man, den Hund zu trainieren, bleibt dies in den meisten Fällen bestenfalls ineffektiv und ist oft genug sogar kontraproduktiv. Wer aber erkannt hat, an welchem Ende der Leine die Herausforderung liegt, sollte genau dort ansetzen und aktiv an seiner eigenen Kommunikation und Führung arbeiten.
3. Helfen bei allen Hunden die gleichen Maßnahmen?
Alle Hunde haben eines gemeinsam: Sie lassen sich weder nur durch "Training" noch durch ausschließlich dominantes Verhalten des Menschen führen. Die entscheidende Eigenschaft, die es einem Hund ermöglicht, stressfrei an einer lockeren Leine zu gehen, ist die soziale Kompetenz des Menschen, der ihn führt. Bei der überwältigenden Mehrheit der Hundehaltenden ist diese soziale Kompetenz bereits vorhanden – die Herausforderung besteht jedoch darin, diese Kompetenz dem Hund auch erfolgreich zu kommunizieren.
Dabei gibt es keine "Einheitslösung", denn die Art und Weise, wie diese soziale Kompetenz vermittelt wird, kann von Hund zu Hund und von Mensch zu Mensch stark variieren. Jeder Hund hat seine eigene Persönlichkeit und jeder Mensch seinen eigenen Umgangsstil, weshalb es wichtig ist, individuell herauszufinden, wie die Kommunikation zwischen beiden am besten funktioniert. Anpassungsfähigkeit und ein tiefes Verständnis für die Dynamik der Beziehung sind hier der Schlüssel zu einem stressfreien und harmonischen Miteinander.
4. Mach deinem Hund ein Beziehungsangebot, das er nicht ablehnen kann!
Für einen stressfreien Spaziergang an der Leine muss sich vor allem eines ändern: das Beziehungsangebot, das der Mensch seinem Hund unterbreitet. Die gute Nachricht ist, dass Hunde auf ein verändertes Beziehungsangebot in der Regel sehr schnell reagieren. Das Problem liegt jedoch oft darin, dass es für den Hundehaltenden nicht ganz so einfach ist, ein einmal etabliertes Beziehungsangebot plötzlich und grundlegend zu verändern.
Dies erfordert oft tiefgreifende Veränderungen im Zugang des Menschen zu seinem Hund und diese Veränderungen können vom Menschen manchmal als unangenehm oder ungewohnt empfunden werden. Vor allem dann, wenn man sich von bisherigen Routinen oder Ansichten lösen muss. Aber genau diese Umstellung ist der Schlüssel, um dem Hund klar zu machen: „Ich übernehme die Verantwortung und sorge für deine Sicherheit.“
Dieser Wandel in der Haltung und Einstellung kann für den Hund ein regelrechter Befreiungsschlag sein – und den Stress, den er bisher durch das Ziehen an der Leine empfand, deutlich reduzieren.
5. Lass Dir dabei helfen!
Eine Veränderung des Beziehungsangebotes ist oft eine Herausforderung, besonders weil du als Hundehalter ohne fachkundiges Feedback auf deine eigene, subjektive Wahrnehmung angewiesen bist. Was du in dieser Situation brauchst, sind keine Patentmethoden, die für andere Hundehalter funktionieren könnten, sondern individuell abgestimmte Lösungen, die auf dich und deinen Hund zugeschnitten sind. Ratschläge, die vielleicht bei einer völlig anderen Mensch-Hund-Konstellation nützlich waren, oder ein „Anti-Zug-Geschirr“, werden in den meisten Fällen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Vielmehr benötigst du einen professionellen Blick von außen, der nicht nur deinen Hund im Fokus hat, sondern auch dich als Halter. Ein klassischer „Hundetrainer“, der sich primär auf den Hund konzentriert, kann dir in dieser Situation wahrscheinlich nur wenig weiterhelfen.
Was du brauchst, ist jemand, der sowohl mit Menschen als auch mit Hunden hervorragend arbeiten kann und dir hilft, dein Beziehungsangebot zu verändern – jemand, der dich unterstützt, anstatt Patentrezepte zu bieten. Diese Problemlöser in Hundeangelegenheiten sind selten, aber sie existieren. Scheue dich nicht, deren Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist ein entscheidender Schritt, um deinem Hund den Stress zu nehmen und euer gemeinsames Leben entspannter und angenehmer zu gestalten.
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